Was ist der Koran?

Der Koran ist das heilige Buch des Islams. Muslime verstehen ihn als reines göttliches Wort, das dem Propheten Muhammad offenbart wurde. Aus seinem Inhalt leitet sich die Scharia, das islamische Recht, ab.
Nach islamischem Verständnis existiert seit jeher im Himmel eine heilige Urschrift; diese wurde bereits in Form von Tora und Evangelium in Teilen offenbart. Juden und Christen verfälschten jedoch den Inhalt. In der „Nacht der Bestimmung“ (arabisch: lailat al-qadr) im Monat Ramadan des Jahres 610 wurde dieser göttliche Text erneut in die unterste Himmelssphäre herabgesandt. Im Laufe von 22 Jahren erhielt der Prophet Muhammad über den Engel Gabriel (arabisch: Dschibril) Stück für Stück seinen Inhalt offenbart.
Die erste Offenbarung soll Muhammad in einer Höhle erhalten haben. Es handelt sich um die Anfangsverse der 96. Sure. Der erste Vers lautet: „Trag vor (arabisch: iqra’) im Namen deines Herrn, der erschaffen hat.“ Das erste offenbarte Wort – iqra’ (trag vor) – gab später als Verbalsubstantiv – Qur’an (Vortrag, Lesung, Rezitation) – dem heiligen Buch seinen Namen. Das Wort Koran kommt selbst etwa 70 Mal im Text vor. In den frühen Versen bezeichnet der Begriff zunächst einen Vortrag, später bereits die Lesung ganzer Texte. Am Ende wird der Koran als vollendetes Buch in einer Reihe mit Tora und Evangelium genannt.
Muhammad war über seine Offenbarungserlebnisse offenbar zutiefst erschrocken. Der islamischen Erzählung zufolge lief er in Panik zu seiner Ehefrau Khadidscha, um bei ihr Schutz und Trost zu finden. Muhammad war ein einfacher Mann, der weder lesen noch schreiben konnte und der keine Sonderrolle in der Gesellschaft anstrebte. Die einzelnen koranischen Verse sollen ihm ins Herz geschrieben worden sein, aus dem er dann den Bewohnerinnen und Bewohnern von Mekka vortrug. Die arabische Reimsprache des Korans gilt Muslimen dabei als so wunderschön, dass sie nicht menschlichen, sondern nur göttlichen Ursprungs sein kann.
Muhammads Verkündigungen richteten sich an alle Menschen unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihrer sozialen Stellung. In Mekka verstand man seine Prophetie als Gefahr für die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung. Als die Lage zu eskalieren drohte, flohen Muhammad und die ersten Muslimas und Muslime nach Yathrib, dem späteren Medina. Diese Flucht (arabisch: hidschra) kennzeichnet den Beginn der islamischen Zeitrechnung. In Medina erhielt Muhammad bis zu seinem Tod im Jahr 632 weitere Offenbarungen.
Die frühen, auch mekkanisch genannten Offenbarungen haben vor allem folgenden Inhalt: Prophetenschaft Muhammads, Beschreibung und Lobpreisung Gottes, Ankündigung des Paradieses für die Gläubigen und Androhung der Hölle für die Ungläubigen sowie diverse bereits in der Bibel verarbeitete Geschichten und Ereignisse vergangener Generationen. Die späteren medinensischen Verse beschäftigen sich mit Rechtsvorschriften und gottesdienstlichen Handlungen, dem Dschihad (arabisch: Anstrengung für Gott), dem Krieg gegen die Ungläubigen und politischen Fragen.
Noch zu Muhammads Lebzeiten schrieben die ersten Muslime einige Koranverse auf. Nur einige Jahre nach seinem Tod existierten bereits mehrere Versionen, die sich teils erheblich voneinander unterschieden. Da es nur eine richtige Fassung der göttlichen Offenbarung geben konnte, ließ der dritte Kalif Uthman (574-656) alle bisherigen Kodizes vernichten und eine neue offizielle Form des Korans anfertigen, die in der ganzen islamischen Welt verbreitet wurde.
Bis in das 8. Jahrhundert hinein fehlten der arabischen Schrift eindeutige Zeichen, die markierten, wie ein Wort auszusprechen war. Der Koran wurde vor allem mündlich verkündet, die Schrift diente eher als Gedächtnisstütze. Mit dem Tod der einstigen Weggefährten Muhammads, die noch Zeugen seiner Vorträge geworden waren, und der geografischen Ausbreitung des Islams auch in nichtarabischsprachige Regionen wurde die schriftliche Form des Korans immer wichtiger. Nun zeigte sich, dass an manchen Stellen nicht ganz klar war, wie einzelne Worte auszusprechen waren. Manchmal hatte dies erhebliche Folgen für den Inhalt. So entwickelten sich erneut diverse Textfassungen und verschiedene Lesarten des Korans. Erst 1923/24 veröffentlichte die Azhar-Universität in Kairo eine einheitliche Version, nach der sich heute die meisten im Buchhandel zu kaufenden Koranausgaben richten.
Der Koran besteht aus 114 sogenannten Suren, die sich wiederum in eine unterschiedliche Anzahl von Versen unterteilen. Nach der Kairoer Ausgabe zählt der Koran 6.214 Verse. Von dieser Zählung weicht der Koran der Ahmadiyya-Gemeinschaft, der in Deutschland meist sehr preisgünstig im Buchladen auf arabisch-deutsch zu kaufen ist, ab. Bis auf die 9. Sure beginnen alle Suren mit der sogenannten Basmala (arabisch; im Namen Gottes, des Allerbarmenden und Barmherzigen). Der Ahmadiyya-Koran zählt die Basmala im Gegensatz zum Kairoer Koran mit, so dass sich die Zählung jeweils um einen Vers verschiebt und sich die Gesamtsumme der Verse auf 6.326 beläuft.
Die Koransuren sind nicht chronologisch nach dem Zeitpunkt ihrer Offenbarung geordnet. Mit Ausnahme der 1. Sure, al-Fatiha (die Eröffnende), steht die längste Sure ganz vorn und eine der kürzesten ganz hinten. Muslime glauben, dass die Reihenfolge der Suren nicht willkürlich entschieden wurde, sondern Teil der Offenbarung an Muhammad war. Würde man den Koran chronologisch ordnen, stünde die 96. Sure am Anfang und die 5. Sure am Ende.
Jede Sure hat einen eigenen arabischen Namen, der in der Sure selbst auch einmal genannt wird. Wie im Falle der 4. Sure – an-Nisa’ (die Frauen) – kann der Titel grob andeuten, worin es in dieser Sure thematisch geht. In der nichtarabischen Welt ist es eher üblich, die Suren wie auch die Verse durchzunummerieren.
Der Koran ist sowohl in arabischer als auch in der deutschen Übersetzung sehr schwer zu lesen und bisweilen unverständlich. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich daher eine große islamische Wissenschaft herausgebildet, die den Koran interpretiert und die hieraus abgeleitete Scharia definiert. Nach traditioneller islamischer Auffassung ist eine Übersetzung des Korans in andere Sprachen im Grunde unmöglich, da jede Übersetzung eine Interpretation und damit eine Verfälschung des göttlichen Wortes ist. In deutschen Koranschulen lernen Kinder und Jugendliche daher arabisch, um den Koran lesen zu können. Um ihn zu verstehen, greifen sie jedoch auch zu deutschen oder türkischen Übersetzungen.
Die erste deutsche Übersetzung wurde im 16. Jahrhundert angefertigt, das große Interesse am „Orient“ und damit auch am Koran kam jedoch erst im 19. Jahrhundert auf. Heute sind Dutzende Übersetzungen im Buchladen zu kaufen, u.a. ein Koran in leichter Sprache für Kinder und Jugendliche, der 2008 von den Islamwissenschaftlerinnen Lamya Kaddor und Rabeya Müller herausgebracht wurde.
Arabische und auch manche deutsche Koranausgaben sind oft kleine Kunstwerke. Der Text ist mit bunten Blumenornamenten eingerahmt, die Verszahlen schimmern golden, der göttliche Name ist besonders schön geschrieben und hervorgehoben. Muslime behandeln den Koran zu Hause mit großem Respekt. Er wird nicht irgendwo liegengelassen, sondern findet nach der Lesung einen besonderen Platz. Manche achten auch darauf, dass kein Nichtmuslim den Koran berührt, um ihn nicht zu entweihen.
Koranverse begegnen einem in islamischen Ländern, vor allem in religiösen Einrichtungen oder bei muslimischen Familien, aber auch im Alltag auf der Straße, überall. Zumeist sind sie sehr kunstvoll in unterschiedlichen kalligraphischen Formen verziert. Da im Islam Bilder von Gott, dem Menschen und der Natur verboten sind, ist die Schrift von großer Wichtigkeit. Koranverse finden sich an Moscheen und Hauswänden wie im Innern von Privathäusern, aber auch in Form von Amuletten an Autospiegeln, gedruckt auf T-Shirts oder als Handy-Klingelton.

(Stand: 26. September 2013)


 

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