Ist Muhammad cool?

„Islam“ verstehen Jugendliche oft ganz anders als ihre Eltern und Großeltern. In einer mehrheitlich nicht-islamischen Gesellschaft wie Deutschland ist es für sie schwieriger, sich ihrer Religion zu nähern. Ihre Verwandten in der Türkei oder dem Nahen Osten wachsen ganz selbstverständlich mit religiösen Regeln auf; junge Muslime in Deutschland müssen sich selbstständig informieren, ausprobieren und entscheiden.
Für viele stellen Islam, Deutschsein und Moderne keine Gegensätze dar. Aus Jugendkultur und konservativ-religiösen Werten mischen sie sich ihre eigene Lifestyle-Religion zusammen: den „Pop-Islam“, wie die Islamwissenschaftlerin Julia Gerlach das Phänomen 2006 bezeichnete. Muslimische Jugendvereine, Internetportale, Prediger, Rapper und Streatwear sorgen dabei für ein hippes Wir-Gefühl. Die jungen Muslimas und Muslime wollen dem neuesten Trend frönen, Karriere machen und Teil der deutschen Gesellschaft sein. Rebellion gehört auch mit dazu. Mit schwarzer Lederjacke und Irokesenschnitt kann man heute keine Eltern und Lehrer mehr schocken. Islamische Statements jedoch erregen Aufmerksamkeit, Respekt und teilweise auch Angst.
Jede Jugendszene braucht Erkennungszeichen, die klar sagen: „Du gehörst dazu! Und du nicht!“ Es geht in erster Linie um cool oder uncool. Kleider machen Leute – das gilt nicht nur für Banker und Top-Models, sondern auch für junge Muslime. Ob sie das H&M-Kopftuch im eleganten Schwung um den Kopf wickelt oder vom Scheitel bis zur Taille trägt, ist mehr als eine Stilfrage. Und wenn er im Muhammad-Kapuzenpulli herumläuft und aus Prinzip nur Koransuren auf den iPod lädt, ist das ein klares Bekenntnis.
Mittlerweile existieren in Deutschland mehrere Modefirmen, die den Islam und den Propheten als Verkaufsschlager entdeckt haben. Mit dem Slogan „Style Islam – Go spread the word!“ (Trag Islam – Verbreite das Wort!) wirbt ein gleichnamiges Modelabel aus Witten. „Styleislam“ hat sich darauf spezialisiert, modernes Outfit mit konservativen islamischen Botschaften zu verbinden und dem Islam in Deutschland so ein neues Äußeres zu geben. Seit 2008 verkauft die Firma im Internet islamische Jugendkleidung und Modeaccessoires. Auf T-Shirts, IPhone-Hüllen, Halsketten oder Taschen prangen peppige religiöse Sprüche wie „I love my prophet“ (Ich liebe meinen Propheten), „Keep smiling – it’s Sunnah“ (Lächle – es ist der Brauch des Propheten) und „Hijab: My right, my choice, my life“ (Kopftuch: Mein Recht, meine Entscheidung, mein Leben), aber auch politische Botschaften wie „Drop live, not bombs“ (Werft Liebe, keine Bomben) und „Terrorism has no religion“ (Terrorismus hat keine Religion).
Die Slogans drücken ein Bekenntnis zum Islam und zur islamischen Umma (Gemeinschaft), aber auch Kritik an einigen Merkmalen der westlichen nicht-islamischen Gesellschaft aus. Drogen und freie Sexualität gelten den Pop-Muslimen zum Beispiel als Sünde. Dagegen stellen sie ihre konservative Moral und einen Mitmach-Islam: Jeder Gläubige soll ein moralisch einwandfreies Leben führen, ein auch für Nicht-Muslime vorbildlicher Mensch sein und das Leben in die eigene Hand nehmen.
Viele der muslimischen Jugendlichen engagieren sich sozial. Vor einigen Jahren trat der Ägypter Amr Khaled mit den „Lifemakers“ eine riesige Bewegung los. Unter dem Motto „Stopp den Drogenkonsum – ändere dein Leben“ rief er Muslimas und Muslime auf, sich für die Allgemeinheit zu engagieren. In vielen Ländern bildeten sich Gruppen, die anfingen, Spielplätze zu säubern, Bäume zu pflanzen oder Brote an Obdachlose zu verteilen. Vorbild ist für sie alle der Prophet Muhammad, der sich ebenfalls aktiv und zum Wohle der Menschen eingebracht habe.
Zu einer muslimischen Jugendszene gehört auch der passende Sound. Wer aus religiösen Gründen auf leichtbekleidete Frauen und Männer, die von Sexualität und Liebe singen, verzichten möchte, greift zum Islam-Pop. Dabei handelt es sich keineswegs nur um schwülstige Klänge und verkitschte Texte; Musiker aus den verschiedensten Ländern preisen in allen möglichen Sprachen in Pop und Rapp Gott und seinen Propheten. Ein Star wie Sami Yusuf füllt auch in Deutschland große Konzerthallen.
Wie für alle Jugendlichen ist auch für Muslimas und Muslime das Internet das Medium überhaupt. Bei Facebook gibt es Hunderte Islam-Foren, ebenso bei Twitter oder StudiVZ. Die Hintergründe der Betreiber und der Adressaten sowie das Bild des Islams und die diskutierten Themen sind höchstunterschiedlich. So existieren eine Reihe von deutsch-türkischen Portalen wie vaybee.de, wo Religion neben Autos, Sexualität und Fußball eines von vielen Themen ist. Explizit an religiöse Jugendliche wendet sich das Portal waymo.de des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Neben Koranrezitationen und Predigten werden auch Filme, religiöse Gesänge und Veranstaltungen gepostet. Die Seite versteht sich als Gegengewicht zu den vielen salafistischen Foren. Die Salafisten (von as-salaf as-salih, den sogenannten Altvorderen des Islams zur Zeit Muhammads) bieten ein geschlossenes sehr konservatives Weltbild an und hetzen gegen Israel und die USA. In der salafistischen Szene sind Kapuzenpullis und Basecaps „unislamisch“; Pluderhosen, Bärte und Vollverschleierung gelten dagegen als cool. Anders als die Pop-Muslime betrachten sie sich als in einer feindlichen Umwelt lebend, die sie wie ihr Idol Muhammad bekämpfen müssten, um den „wahren“ Glauben durchzusetzen – notfalls auch mit Gewalt.

(Stand: 26. September 2013)


 

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