Kann man aus einer Religionsgemeinschaft ausgeschlossen werden?

Alle drei monotheistischen Religionen kennen die Möglichkeit, einen als Sünder empfundenen Menschen aus der Mitte der Glaubensgemeinschaft auszustoßen. Manchmal gehen die offiziellen Regelungen der Religionen bei diesem Thema auseinander – so wird jemand aus der Gruppe ausgeschlossen, der sich gar nichts hat zu Schulden kommen lassen, oder ein Mitglied ist weiterhin willkommen, obwohl es klar gegen die Bestimmungen gehandelt hat.
Die aktuelle Fassung des Kirchenrechts der katholischen Kirche von 1983 sieht die sogenannte Exkommunikation unter anderem bei folgenden Vergehen vor: Entweihung der Abendmahlsfeier, Gewalt gegen den Papst, Verletzung des Beichtgeheimnisses, Abtreibung, Gotteslästerung und Kirchenspaltung. Der Exkommunizierte wird zwar weiter als Christ betrachtet und bleibt Mitglied der katholischen Kirche, er verliert jedoch gewisse Rechte. So darf er nicht mehr am Abendmahl teilnehmen, keine Beichte ablegen, er kann nicht kirchlich heiraten und wird nicht kirchlich begraben.
Nach einer Zeit der Reue und Buße kann die Exkommunikation aufgehoben werden. Zum Beispiel nahm Papst Benedikt XVI. 2010 die Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft zurück, unter ihnen der Holocaust-Leugner Richard Williamson, was einen Sturm der Entrüstung in weiten Teilen der Gesellschaft auslöste. Auch nach dem Tod kann ein Christ rückwirkend wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden. So rehabilitierte Papst Johannes Paul II. 1992 nach jahrelangen Untersuchungen den italienischen Naturwissenschaftler Galileo Galilei – 350 Jahre nach seinem Tod. Spannend wird bis 2017 bleiben, ob die katholische Kirche anlässlich des 500jährigen Jubiläums der Reformation der Forderung der früheren evangelischen Bischöfin Margot Käßmann, die Exkommunikation von Martin Luther aufzuheben, nachkommt.
Nach islamischem Verständnis kann derjenige, der sich einmal der Gemeinschaft der Gläubigen (arabisch: umma) angeschlossen hat, nicht gegen seinen Willen aus dieser ausgeschlossen werden. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit jedoch Fälle, in denen Muslime durch ihr Verhalten oder ihre Äußerungen zu einem solch großen öffentlichen Ärgernis wurden, dass man sie zum Nicht-Muslim erklärte. So zum Beispiel im Falle des ägyptische Koran- und Literaturwissenschaftlers Nasr Hamid Abu Zaid. In den 1990er Jahren forderte er eine neue Art der Koraninterpretation, die sich nach der Vernunft richtete und sich der Moderne anpasste. Abu Zaid geriet zwischen die Fronten der ägyptischen Regierung und der islamistischen Opposition. Um sich seiner zu entledigen, beschuldigte man ihn der Apostasie (Abfall vom Glauben). Dies hatte erhebliche Konsequenzen: Als Nicht-Muslim durfte er nach ägyptischen Recht nicht mit einer muslimischen Frau verheiratet sein und als Professor den Koran lehren; Zwangsscheidung, Verlust des Arbeitsplatzes und Exil in Europa folgten.
Das Judentum betrachtet einen jeden Menschen, der von einer jüdischen Mutter geboren wurde, als Juden. Das Judesein kann daher einem Menschen nicht abgesprochen werden, wohl aber haben sich in der Geschichte freidenkende Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen derart in der Gemeinde unbeliebt gemacht, dass sie ausgeschlossen wurden. Der bekannteste Fall im Judentum war der Verweis von Baruch de Spinoza, einem niederländischen Philosophen des 17. Jahrhunderts. Er führte eine moderne Bibelkritik ein und äußerte Bedenken an einigen zentralen Glaubensinhalten des Judentums.
Das Bemerkenswerte an den beschriebenen Fällen ist, dass sich alle der aus ihrer Religionsgemeinschaft ausgestoßenen Personen als sehr gläubige Christen, Muslime und Juden betrachteten. So wurden sie nicht nur kriminalisiert und in ihrer Existenz bedroht, sondern auch seelisch tief verletzt. Besonders belastend ist der Abbruch sämtlicher sozialer Beziehungen einschließlich der Familie, wie ihn auch heute in Deutschland Mitglieder von großen Religionsgemeinschaften wie kleinen Sekten erleben, die sich gegen die Regeln ihrer Gruppe auflehnen.

(Stand: 5. August 2013)


 

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