Was sagt der Islam über die Liebe?

Der Islam unterscheidet zwischen der Art der Liebe, die Gott den Menschen schenkt und derer, die Menschen ihm gegenüber sowie zueinander empfinden.
Im Koran bezeichnet Gott sich eher selten als liebevoll. Vorherrschend sind Beschreibungen seiner Barmherzigkeit und Gnade; betont werden weiter vor allem die Einzigartigkeit und Einheit Gottes (arabisch: tauhid), seine Allmacht und seine Gerechtigkeit.
Die Idee von einem „Gott der Liebe“ ist in Anlehnung an einige Versstellen im Neuen Testament (z.B. 2. Korinther 13,11 und 1. Johannes 4,8) vor allem eine christliche. Die göttliche Liebe ist nach Auffassung der Christen eine der zentralen Botschaften der Bibel. Der höchste Ausdruck der Liebe Gottes ist für sie die Kreuzigung seines Sohnes Jesus Christus. Der Koran verneint die Kreuzigung Jesu eindeutig (Sure 4, Vers 157-158) und für Muslime ist es unvorstellbar, dass Gott seinen Gesandten zur Vergebung der Sünden aller Menschen einen solch grausamen Tod hat sterben lassen.
Einige Muslime lehnen die Vorstellung, dass zwischen Gott und den Menschen überhaupt Liebe bestehen könnte, ab, da Gott vollkommen andersartig als der Mensch sei und daher keine ihnen ähnliche Gefühle haben könne. Für andere Muslime jedoch drückt sich die göttliche Liebe zu den Gläubigen in der Sendung des Propheten Muhammad und seiner Offenbarung aus; vor allem Koran und Sunna geben den Menschen eine Richtschnur für ihr Leben. Halten sie sich an die islamischen Ge- und Verbote, gehen sie nach dem Tod in das Paradies ein, wo sie für alle Zeiten in Gottes Gegenwart leben werden. Wer sich jedoch nicht an die göttlichen Gesetze hält, schlägt gewissermaßen seine Liebe aus. Nach dem Koran entzieht Gott ihnen daraufhin ebenfalls seine Liebe; er liebt nur die Gläubigen und leitet diejenigen auf gute Wege, die seinen Willen erfüllen („Sag: ‚Wenn ihr Gott liebt, dann folgt mir, damit euch Gott liebt und euch eure Sünden vergibt!‘ Gott ist voller Vergebung und barmherzig. Sag: ‚Gehorcht Gott und dem Gesandten!‘ Doch wenn sie sich abkehren – Gott liebt nicht die Ungläubigen.“, Sure 3, Vers 31-32).
Die Suche nach und das Aufgehen in der göttlichen Liebe steht im mystischen Islam im Mittelpunkt der Glaubenspraxis. Die Liebe zu Gott ist das eigentliche Endziel auf dem Weg zu ihm. Die Sufis richten somit ihre ganze Konzentration auf Gott, wobei sie ihr Selbst durch Askese und Meditation aufzugeben versuchen, um seine Gegenwart auf Erden immer stärker zu spüren und schließlich ihr gesamtes Bewusstsein mit Gott zu füllen und sich in ihm aufzulösen.
Vor allem mystische Muslime und Christen sind sich in ihrer Vorstellung von einem „Gott der Liebe“ also sehr nah. Ebenso verhält es sich mit der Nächstenliebe. Das höchste der Zehn Gebote in der Bibel ist auch im Islam verwurzelt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. Dies ist das größte und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Matthäus 22,37-39). Zwar kommt das Gebot der Nächstenliebe nicht wortwörtlich im Koran vor, wohl aber in den Überlieferungen der Aussagen des Propheten (arabisch: sunna): „Jener Mensch ist gerecht, der für die anderen Menschen so viel Liebe aufbringt, wie viel er sich ihrer für sich selbst ersehnt.“ Nicht eindeutig ist jedoch, ob hier alle Menschen unabhängig ihres (Nicht)Glaubens gemeint sind oder nur Muslime.
Die Almosensteuer (arabisch: zakat), eine der fünf Säulen des Islams, kommt vor allem armen und bedürftigen Muslimen zugute. Für die meisten Muslime ist jedoch klar: Gerät ein Mensch in Not, erhält er Hilfe – egal, ob er glaubt oder nicht. Muslimische Hilfsorganisationen wie der Rote Halbmond sind zwar vor allem in islamischen Ländern aktiv, unterscheiden aber nicht zwischen den Menschen, wenn es um Blutspenden oder Lebensmittelhilfen geht.
Das Christentum betont, dass die Nächstenliebe auch die Liebe des Feindes mit einschließt. Hier ist der Islam zurückhaltender; zwar ist es für einen Muslim verdienstvoll, Böses mit Gutem zu vergelten, der Koran kennt jedoch auch das Prinzip der (gemäßigten) Rache (Sure 2, Vers 178).
Die Liebe zwischen zwei Menschen ist die Basis einer guten Beziehung – darin sind sich weltweit (fast) alle Menschen egal welcher Religion oder Kultur einig. Die meisten Menschen in Deutschland heiraten heute aus Liebe – auch Muslimas und Muslime. Nach dem islamischen Recht gilt die Ehe jedoch eher als ein Vertrag, nach dessen Abschluss der Mann und die Frau bestimmte Aufgaben im Familienleben erfüllen, Kinder bekommen und sich gegenseitig beerben.
In manchen traditionellen Familien kommt es zu arrangierten und zwanghaften Ehen, ohne dass Braut und Bräutigam einander kennen oder sich mögen. Die Familien argumentieren dabei häufig, der Islam schreibe ihnen das vor – tatsächlich entstammen diese Bräuche jedoch eher sehr alten Traditionen in ihren Herkunftsländern, zumal das islamische Recht ganz eindeutig das Einverständnis beider Eheleute fordert.
Zur Partnerschaft zwischen Mann und Frau steht im Koran Folgendes: „Und zu seinen Zeichen gehört, dass er euch aus euch selbst Ehefrauen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen ruht. Er hat Liebe und Barmherzigkeit zwischen euch geschaffen.“ (Sure 30, Vers 21). Nach den Aussprüchen des Propheten gehören weiter Respekt, Vertrauen und Treue zu einer guten Ehe.
Im islamischen Recht darf der Mann bis zu vier Frauen heiraten – vorausgesetzt, er kann ihnen dasselbe Maß an Liebe, Versorgung und Behandlung zukommen lassen. Die Frau muss muslimisch, jüdisch oder christlich sein, Anhängerinnen polytheistischer Religionen sind ihm verboten. Die Muslima muss einen Muslim heiraten, da sonst die Kinder möglicherweise nicht islamisch erzogen werden. Eine sexuelle Beziehung zwischen gleichgeschlechtlichen Personen ist nicht möglich. Liebt sie oder er einen Menschen, der nach dem islamischen Recht als Ehepartner nicht erlaubt ist, darf es allenfalls zu einer Freundschaft – und nach einigen Islamgelehrten sogar noch nicht einmal das – kommen.

(Stand: 26. Juli 2014)


 

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