Welche Sünden gelten als schwer und welche als leicht?

Nach islamischem Verständnis wird jeder Mensch unschuldig geboren. Er kommt rein auf die Welt. Für alles, was er in seinem späteren Leben tut, ist er demnach selbst verantwortlich. Solange der Mensch Gott gegenüber gehorsam ist und sich an seine Gebote und Verbote hält, gilt er als unschuldig. Allerdings sehen viele Muslime es so, dass der Mensch in ständiger Versuchung lebt, sogenannte „Sünden“ zu begehen.

Was sind „Sünden“? Generell wird als Sünde eine schlechte, d.h. verwerfliche Tat oder ein schlechter, verwerflicher Gedanke angesehen. Nun stellt sich aber die schwierige Frage: Was genau ist „verwerflich“? Letztlich muss dies natürlich jeder Mensch nach den eigenen moralischen oder auch religiösen Vorstellungen selbst entscheiden. Fast alle würden die folgende Frage mit ja beantworten: Ist es verwerflich, einen Unschuldigen zu töten? Aber was ist mit dieser Frage: Ist es schlecht, Essen in den Müll zu werfen? Oder mit dieser: Ist es verwerflich, anderen Menschen Geld zu rauben, um Essen für obdachlose Kinder zu kaufen?

Über solche Fragen lässt sich lange diskutieren. Religionen bzw. diejenigen, die im Namen einer Religion sprechen, nehmen den Menschen diese Diskussionen in vielen Fällen ab. Sie entscheiden, was gut und was verwerflich ist.

Der Islam kennt verschiedene Arten von Sünden. Islamische Gelehrte sind sich einig, dass nicht alle Sünden gleich sind, da der Koran zwischen „kleinen“ und „großen Sünden“ unterscheidet. Da der Koran aber nicht festlegt, was diese genau sind, bleibt die Frage, welche Gedanken und Taten in welche Kategorie gehören, zunächst unbeantwortet.

In der langen islamischen Geschichte zeigt sich folgende Tendenz: Zu den kleineren Verfehlungen zählen Taten, die nicht explizit im Koran als strafbar bezeichnet werden, die aber dennoch als verwerflich angesehen werden. Dazu zählen unabsichtliche Fehler im gottgefälligen Verhalten. Ein denkbares Beispiel wäre ein fehlerhaft ausgeführtes Gebet. In vielen Rechtsgutachten von islamischen Gelehrten wird auch das Beispiel von sexuellen Beziehungen angeführt. Solange zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht verheiratet sind, kein Geschlechtsverkehr stattfindet, sondern nur begehrt und eventuell auch berührt wird, gilt dies als kleine Sünde. Auch das Anschauen von Pornografie wird oftmals als kleine Sünde betrachtet.

Zu den schweren Sünden zählen die meisten Gelehrten sehr unterschiedliche Dinge wie Mord, Drogenkonsum, Korruption oder auch das Horten von Reichtum. Der Koran ordnet diese Taten zwar nicht eindeutig den großen Sünden zu, erwähnt sie aber alle ausdrücklich. Die schweren Sünden werden als „die Großen“ (al-kaba'ir) bezeichnet. Ihre Anzahl wird mal mit sieben und mal mit 70 und mehr angegeben. Sex vor der Ehe, der in vielen Gesellschaften als normal betrachtet wird und auch in islamischen Gesellschaften häufig vorkommt, wird dem allgemeinen Islamverständnis nach als schwere Sünde betrachtet. Auch das bewusste Unterlassen von islamischen Geboten wie der Pflichtgebete oder der Pilgerfahrt gilt als große Sünde, vorausgesetzt dass es dafür keinen Grund gibt.

Als besonders schweren Fall der Sünde erachten viele Muslime den Glauben an mehrere Götter (schirk). Dieser stellt die im Islam zentrale Auffassung infrage, dass es nur einen Gott gibt (Monotheismus), und gilt als eine Form des Unglaubens (kufr). Während Sünden von Gott vergeben werden können, heißt es im Koran, dass er Polytheismus (Glaube an viele Götter) nicht vergibt. Streng-sunnitische Muslime lehnen daher alles ab, was als Heiligenverehrung betrachtet werden könnte. In Saudi-Arabien etwa ist selbst das Feiern des Geburtstags des islamischen Propheten Muhammads verboten. Muhammad gilt 'nur' als Prophet, er soll demnach nicht als heilig oder sogar als göttlich verehrt werden.

Als weitere Form des Unglaubens gilt der sogenannten Abfall vom Glauben, der auch Apostasie genannt wird (irtidad). Der Koran sieht für Apostasie keine diesseitige Strafe vor. Traditionell haben aber viele Gelehrte argumentiert, dass auf den Abfall vom islamischen Glauben die Todesstrafe steht. Dies sorgt bis heute für Kontroversen, da diese Auffassung fundamental mit dem Wert der Religionsfreiheit kollidiert.


 
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