Ist der Islam streng?

Der Islam ist den Gläubigen Richtschnur für ihr Leben. Den einen strukturiert er minutiös den Tagesablauf und gibt genau vor, was richtig und was falsch ist, den anderen bietet er eher eine Vorstellung von der Welt und spricht Empfehlungen für den Umgang mit Mensch und Schöpfung aus. Was manche als wichtige Hilfe im Alltag begreifen, erscheint anderen als sehr anstrengend und einengend. Frühmorgens im Dunkeln für das erste Gebet aufstehen, im Ramadan tagsüber nichts essen und trinken oder schräge Blicke ernten, wenn man ein Kopftuch trägt oder auf der Party keinen Alkohol trinkt, verlangt tatsächlich große Disziplin und auch Selbstbewusstsein.
Was aber die genauen Pflichten einer Muslima oder eines Muslims sind, diskutieren Gelehrte seit vielen Hundert Jahren. Grundlegend im Islam ist der Glaube an den einen Gott und seinen Propheten sowie den Koran als Offenbarungsschrift. Die meisten Muslime können sich weiter auf die Einhaltung der sogenannten fünf Säulen verständigen: Glaubensbekenntnis, Gebet, Almosen, Fasten und Pilgerfahrt. Die Islamgelehrten haben Gründe gefunden, weshalb man in bestimmten Situationen von diesen Pflichten erleichtert werden kann: Wer keine Zeit hat, kann das Gebet später nachholen; arme Menschen brauchen anderen nichts abzugeben; Kinder, schwangere Frauen und alte Menschen müssen nicht fasten; die Pilgerfahrt soll nur derjenige machen, der über genügend Geld und Gesundheit verfügt.
Nach islamischer Sicht sind alle Lebensbereiche der Menschen bis in das kleinste Detail in der Scharia (arabisch: Weg zur Tränke; islamisches Gesetz) geregelt – nur gibt es diese nicht als Buch, in dem man einfach nachschlagen und alle Antworten finden kann. Seit Muhammads Tod versuchen Gelehrte, sich bei der Rechtsauslegung dem göttlichen Willen zumindest anzunähern. Bei der Interpretation von Koran und Sunna (Tradition des Propheten) kommen sie zu teils vollkommen unterschiedlichen Auffassungen. Muslimas und Muslime können sich entweder ihr eigenes Bild machen oder wählen, welcher Rechtsempfehlung sie folgen möchten. So kann sich theoretisch jeder frei für ein liberales, traditionelles oder strenges Leben entscheiden.
In der Realität ist es jedoch so, dass Familie, Gesellschaft und Staat den Lebensstil eines Menschen maßgeblich bestimmen. Die wenigsten Muslimas und Muslime sind in Bezug auf ihre Religion so sehr gebildet, dass sie eigenständig ihre theologischen und islamrechtlichen Fragen beantworten können. Auch ist es sehr mühsam, bei jedem Problem einen Gelehrten zu fragen. Stattdessen befolgen die meisten einfach die Tradition, die sie von zu Hause her kennen – und diese kann streng, aber auch locker sein.

(Stand: 6. August 2013)


 
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