Was ist ein Hanafit?

Ein Hanafit ist der Anhänger einer bestimmten Rechtsschule im Islam. In der Frühzeit des Islam, also kurz nach dem Tod des islamischen Propheten Muhammad im 7. Jahrhundert n. Chr., bildeten sich verschiedene Rechtsschulen heraus. Diese kann man sich vorstellen als eine Gruppe von Anhängern eines herausragenden Gelehrten sowie deren Schüler. Alle zusammen bildeten dann ein großes Netzwerk und machten sich Gedanken darüber, wie aus den islamischen Quellen – zum Beispiel aus dem Koran und den Berichten über das Leben Muhammads (Hadithe) – Rechtsvorschriften abgeleitet werden können. Denn der Koran und die Hadithe sind ja keine Gesetzesbücher, wie man sie heute kennt, sondern religiöse Schriften.

Die hanafitische Rechtsschule ist eine der vier großen und allgemein anerkannten Rechtsschulen des sunnitischen Islam. Sie bildete sich um den Rechtsgelehrten Abu Hanifa, der im Irak lebte und im Jahr 767 n. Chr. starb. Die hanafitische Rechtsschule ist heute sehr weit verbreitet, zum Beispiel in der Türkei, im Irak, in Ägypten oder Syrien und auch auf dem Balkan.

Aber worum geht es eigentlich genau? Worin unterscheiden sich die verschiedenen Rechtsschulen? Das islamische Recht betrifft zwei unterschiedliche Bereiche: zum einen die religiösen Vorschriften für gläubige Muslime und Musliminnen - zum Beispiel wie man ein Gebet zu verrichten hat oder wie und wann man zu fasten hat. Zum anderen betrifft es die Rechtsbeziehungen zwischen den Menschen selbst, also etwa das Erbrecht, das Familienrecht oder auch das Strafrecht.

Je ein Beispiel: Die rituelle Waschung vor dem Gebet unterscheidet sich in den unterschiedlichen Rechtsschulen im Detail. So ist es etwa für Gläubige, die der hanbalitischen Schule folgen, Pflicht, vor der Waschung folgenden Satz zu sagen: ‚Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes‘. Die Hanafiten können ihn zwar auch sagen, müssen es aber nicht.

Ein anderes Beispiel ist das Erbrecht. Stirbt eine Person, stellt sich die Frage, was mit dem Besitz geschieht. Eine wichtige Frage dabei ist, wer an dem Erbe beteiligt wird. Der Ehepartner? Die Kinder? Enkel? Neffen? Hier unterscheiden sich die Rechtsschulen. Anders als in anderen Rechtsschulen können nach hanafitischem Recht beispielsweise auch die Kinder der Schwester des Verstorbenen etwas von dem Erbe bekommen.

Zum Schluss ist noch wichtig zu erwähnen, dass das islamische Recht in einem bestimmten Land nicht automatisch Gesetz ist. Viele Nationalstaaten wie etwa die Türkei oder Tunesien haben ihre eigenen Gesetze, die zwar teilweise stark vom islamischen Recht beeinflusst sind, in anderen Bereichen aber auch von diesem abweichen. Viele Gesetzesvorschriften in muslimisch geprägten Ländern sind auch von europäischem Recht beeinflusst worden.

(Stand: 17. Oktober 2017)


 
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