Wieso gehen Musliminnen mit Kopftuch in die Schule, obwohl es verboten ist?

In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung, ob das Kopftuch an Schulen erlaubt oder verboten ist. In den vergangenen zwanzig Jahren wurden in den Bundesländern immer wieder Gesetze und Erlasse zu Kopftüchern beschlossen, um die teils heftig gestritten und die oft auch wieder gekippt wurden. Dieser lange „Kopftuchstreit“ ist noch nicht vorbei – die Diskussion geht weiter und neue Klagen und Urteile stehen aus.

Die Frage, ob das Kopftuch an der Schule erlaubt ist, wird hinsichtlich Lehrerinnen anders diskutiert als in Bezug auf Schülerinnen. Lehrerinnen sind Beamtinnen oder Angestellte des Staates und unterliegen damit einem besonderen Auftrag, der unter anderem weltanschauliche Neutralität von ihnen fordert. Was genau diese Neutralität ausmacht und wie sie zum Ausdruck gebracht werden kann, wird aber unterschiedlich bewertet.

Nachdem in vielen Bundesländern seit Anfang der 2000er Jahre Gesetze gegen Kopftücher im Staatsdienst erlassen worden waren, – stets begleitet von einer intensiven Debatte in der Öffentlichkeit –, führte vor allem ein Urteil zu einer schrittweisen Veränderung der Situation: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat im Januar 2015 entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen nicht mit dem Grundgesetz, speziell dem Grundrecht auf Religionsfreiheit, vereinbar ist. Das bedeutet: Lehrerinnen dürfen grundsätzlich ein Kopftuch in der Schule tragen. Das darf nur dann untersagt werden, wenn durch das Tragen eine hinreichend große Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht.

Manche Bundesländer veränderten nach dem Urteilsspruch ihre Schulgesetze, manche aber auch nicht. So gibt es in jedem Bundesland eine andere Situation: In Bremen dürfen Lehrerinnen ein Kopftuch tragen. In Bayern soll in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die kopftuchtragende Lehrerin auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht oder nicht. Und in Brandenburg gibt es im öffentlichen Dienst gar keine Regelungen für den Umgang mit Kopftüchern.

In Berlin ist die Situation wieder anders und wird derzeit heftig diskutiert. Hier besteht seit 2005 das Neutralitätsgesetz; dieses verbietet grundsätzlich den Beschäftigten im Lehrberuf, in Polizei und Justiz religiöse Kleidungsstücke, also nicht nur das islamische Kopftuch, sondern auch die christliche Nonnentracht und die jüdische Kippa. In Bezug auf die Schulen hieß es bei der Verabschiedung des Gesetzes, durch die Verbannung von religiösen Kleidungsstücken wolle man den Schulfrieden sichern. Damals galt das als fortschrittlich, de facto ist es aber heute ein Berufsverbot für muslimische Frauen, für die das Kopftuch Teil ihrer Identität ist. Die betroffenen Berliner Frauen bewerben sich daher nach ihrem Studium an privaten Schulen, an denen das Neutralitätsgesetz so nicht greift, oder gehen in ein anderes Bundesland, wo sie bessere Bedingungen vorfinden.

Damit ist Berlin das Bundesland mit der strengsten Regelung, obwohl gerade hier besonders viele Musliminnen und Muslime leben. Aber das Neutralitätsgesetz kippelt: Immer wieder haben kopftuchtragende Lehrerinnen geklagt, weil sie nicht eingestellt wurden. Oft bekamen sie Recht. Das Land wurde mehrfach wegen Diskriminierung zu Entschädigungszahlungen verurteilt. Zuletzt entschied am 27. August 2020 das Bundesarbeitsgericht, dass Berlin einer Lehrerin eine Entschädigung zu zahlen habe, da deren Einstellung mit Verweis auf das Neutralitätsgesetz abgelehnt worden war. Dies sei in dieser Pauschalität nicht zulässig, so die Richter, „nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität“ dürften Frauen aufgrund ihres Kopftuchs vom Schuldienst ausgeschlossen werden. Viele muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch in Berlin hoffen nun, dass das Neutralitätsgesetz bald abgeschafft wird, denn ihrer Meinung nach gibt es keine Belege dafür, dass Kopftücher den Frieden in den Schulen stören. Im Gegenteil – sie meinen, dass muslimische Lehrerinnen und Lehrer wichtig seien, um den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild zu bieten und Vielfalt abzubilden.

Bei Schülerinnen ist die Lage hinsichtlich des Tragens von Kopftüchern deutlich klarer: Als Ausdruck ihrer Religion ist es ihnen in der Schule erlaubt. Allerdings entfachte das Kopftuchverbot für Schülerinnen, das in Österreich verhängt wurde, auch in Deutschland die Diskussion, ob grundsätzlich alle Mädchen oder Mädchen eines bestimmten Alters das Kopftuch untersagt werden sollte, neu. Die Befürworter des Verbots sagen häufig, das Kopftuch sei ein Instrument der Unterdrückung von Frauen und ein Symbol des extremistischen Islam. Die Gegner meinen, ein Verbot verstoße gegen das Recht auf freie Religionsausübung.

(Stand: 12. Januar 2021)


 
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